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„Wenn ich einen Roman lese, will ich auch den Autor sehen. Ein Foto des Autors gibt dem Buch für mich mehr Leben. Mit einem Foto wird Ihre eigene Fantasie lebendig. Das haben die Leute auch, wenn sie Zeitung lesen.“

Vincent Mentzel über Fotografie und Kunst
"Oh, es ist nur ein Foto"

Interview: Chosen de Wilt für Passion for Art (2003)

Ende der sechziger Jahre arbeitete ich bei Maria Austria. Sie war vielleicht Theaterfotografin, aber sie war besonders fasziniert vom Leben, von den gewöhnlichen Dingen, die außerhalb des Theaters lagen. Das hat mich enorm fasziniert, sie hat Zeit dokumentiert, sie hat Geschichte gemacht. Vielleicht habe ich deshalb tatsächlich angefangen, dasselbe zu tun. Nach der Schule ging ich auf die Rotterdamer Kunstakademie, weil ich nicht wirklich wusste, was ich werden wollte. Meine Freunde waren über die Akademie verstreut und interessierten sich für Bildhauerei, Malerei oder Grafikdesign. Ich wollte Innenarchitektin werden. Am Ende habe ich die Schule geschmissen, weil es mir nicht wirklich gefallen hat. Ich zeichnete gern, aber ich war nicht wirklich gut darin. Über den Schauspieler Robert de Vries, den Vater eines Freundes, bekam ich dann einen Platz bei Maria Austria. Sie war die Theaterfotografin in den Niederlanden von den 1950er bis 1970er Jahren.

„Natürlich bin ich enttäuscht, dass ich selbst nicht gut schreiben oder malen kann“

Ich durfte kommen und als Assistent arbeiten und das habe ich anderthalb Jahre durchgehalten. Mit ihr bin ich in einem Jahr in die Praxis gekommen, was an einer Akademie vier Jahre dauern würde. Dort lernte ich zu arbeiten, wie es sein sollte. Ich war fasziniert von der Welt der Künstler und ging dann mit ihr Theateraufführungen fotografieren. In ihrem Haus traf ich Schriftsteller, Dichter und Schauspieler, die sich von ihr porträtieren ließen. Das fand ich fantastisch! Sie hat nicht nur Portraits gemacht, sondern auch Reportagen zum Beispiel über die Flutkatastrophe 1953 und schon vor dem Krieg in Ländern wie Österreich und Ungarn wunderbare Reportagen gemacht. In ihrem Atelier ging alles durch meine Hände.

„Man macht eine Zeitung mit Bildern“

 

Als ich Ende 1968 anfing, für die alte NRC zu arbeiten, damals noch die Nieuwe Rotterdamsche Courant, gab es in dieser Zeitung jeden Tag nicht mehr als vier Fotos; das war alles. Später wurden es immer mehr, aber das Image ist immer noch dem NRC untergeordnet. De Telegraaf und Algemeen Dagblad eröffnen immer mit einem schönen eingängigen Foto von gutem Wetter, schönen Blumen oder einem gruseligen Unfall, immer etwas, womit sie versuchen, den Hauptpreis des Tages zu gewinnen. Beim NRC hängt es immer vom diensthabenden Chefredakteur ab, ob ein Foto mit Sorgfalt und Liebe ausgewählt wird. Joost van der Vaart, ehemaliger stellvertretender Chefredakteur und jetzt Kommentator, war ein Mann mit Sinn für Image. Er sagte: ‚Du machst eine Zeitung mit Bildern.' Es gibt mittlerweile Redakteure, die sagen, dass sie Bilder wichtig finden, aber wenn es darauf ankommt, entscheidet man sich immer noch für Text und nicht für wirklich interessante Bilder. Chefs von Lektoraten sind oft sehr gutmütig und sagen oft, wenn sie neu in einer Position sind: „Die Fotografie wird für mich eine wichtigere Rolle spielen, und deshalb möchte ich ganz schnell mit Ihnen darüber sprechen.“ Dann frage ich nach drei Wochen nochmal, nach drei Monaten nochmal und nach einem Jahr höre ich auf. Dann sind sie alle so mit ihren Managementproblemen beschäftigt, dass sie keine Zeit haben, über eine Verbesserung des Bildes nachzudenken. Dann sind sie froh, dass sie ihre Seiten jeden Tag erstellen können. Das sehe ich schon, seit ich bei der Zeitung arbeite.

„Gibt es denn Bilder in der Zeitung?“

 

Das NRC war schon immer zuerst vom Text und dann vom Bild geprägt. Ich stand einmal vor der Tür eines Professors, um ihn zu fotografieren, der sagte: ‚Gibt es denn Bilder in der Zeitung?' Der Mann hat es einfach verpasst. So leben viele Menschen, die leben, ohne Bilder zu sehen. Sie verschließen sich dann einem Teil der Wirklichkeit, etwas Wesentlichem in einer Gesellschaft. Wenn ich einen Roman lese, will ich auch den Autor sehen. Ein Foto des Autors gibt dem Buch für mich mehr Leben. Mit einem Foto wird Ihre eigene Fantasie lebendig. Leute tun das, wenn sie die Zeitung lesen. Der eine liest die Geschichte so, der andere so. Deshalb ist es für einen Journalisten wichtig, das Wesentliche an die erste Stelle zu setzen, damit man sofort ein Gefühl dafür entwickelt. Man wird drumherum weben und jeder kann seine eigene Meinung dazu äußern. Und dann ist es schön, wenn es ein Bild dazu gibt. Das Bild macht es auch sehr suggestiv. Ich kann ein wirklich nettes Foto von jemandem machen, wenn er ein böser Junge ist.

Politische Fotografie

Mit zunehmendem Alter macht das Fotografieren von Menschen einfach mehr Spaß und ich nehme mir die Zeit dafür. Früher habe ich zehn Fächer an einem Tag gemacht, jetzt nur noch eins, zwei oder drei, je nachdem, was es ist. Manchmal betritt man einen Ort und ich denke: Nach zehn Minuten bin ich hier raus und so ist es. Aber manchmal bin ich auch nach drei Stunden noch da. Das liegt daran, dass es sich gegenseitig gut tut und weil man etwas voneinander wissen möchte. Manchmal höre ich, dass die Leute denken, die Siebziger seien mein Höhepunkt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich damals politische Fotografie gemacht habe. Ich hatte meine eigene Meinung dazu. Ich komme aus einer Familie mit sozialdemokratischem Hintergrund. Mein Vater war Minister und meine Mutter Mitglied des Stadtrats der Labour Party auf der Eiland van Dordrecht. Zu dieser Zeit war ich auch Mitglied der PvdA und dachte, Den Uyl sei ein besonderer Mann. Wir haben uns auch gut verstanden. Das ist heute nicht mehr möglich und erlaubt, dem stimme ich zu. Ich habe die politische Fotografie aufgegeben, als ich einmal im Gespräch mit dem damaligen Ministerpräsidenten Lubbers über den Binnenhof gelaufen bin und meinen eigentlichen Beruf, die Fotografie, vergessen habe. Am nächsten Tag habe ich dann sozusagen aufgehört, im Parlament zu fotografieren. Und das wurde in der Zeitung gut verstanden. Zu Politikern muss man Abstand halten. Ich habe nicht so viel mit Künstlern. Ich muss sie in meiner Fotografie nicht kritisch angehen. Schließlich bin ich kein Kunstkritiker. Ich versuche viel mehr, mich in die Materie hineinzuversetzen, um herauszufinden, warum jemand auf eine bestimmte Weise zeichnet, malt oder schreibt. Als schreibender Journalist gehe ich das vielleicht anders an. Tief in meinem Herzen bin ich natürlich enttäuscht, dass ich selbst nicht gut schreiben oder malen kann. Aber ich kann nicht. Manchmal fragen Autoren, die ich für die Buchbeilage porträtiere, wie ihre Arbeit im NRC begutachtet wird. Ich habe diese Bewertungen nicht vorher gelesen, daher kann ich mit Zuversicht sagen, dass ich es nicht weiß. Manche sagen: ‚Dann lächle ich besser nicht auf dem Bild.' Das finde ich schwierig.

 

Huf, Österreich, Van der Elsken

Ich bin ein großer Bewunderer von Paul Huf. Das war ein besonderer Mann; ein Handwerker mit einzigartigem Stil und besonderem Blick auf Menschen. Er wurde von den Kunstkritikern in den Niederlanden nicht immer mit Sorgfalt behandelt und zu oft als eine Art Glamour-Fotograf angesehen. Aber Paul hatte Anziehungskraft, behandelte die Menschen mit Respekt. Auch wenn er Menschen nicht so sehr mochte, zeigte er es nicht schnell. Er war ein Mann von Ansehen, der Menschen gerne auf ein Podest stellte. Darauf hat er auch bestanden und das mögen die Holländer nicht so gerne. Ich bin sehr inspiriert von Maria Austria. Wegen ihrer Art, ein Thema zu betrachten, wegen ihrer schwerfälligen Art, Schwarz-Weiß-Fotos zu drucken, und wegen ihrer Art, mit dem Thema umzugehen. Auch ein anderer Zeitgenosse der beiden, Ed van der Elsken, hat mich berührt. Wir haben uns gut verstanden und vielleicht habe ich deshalb seine Arbeitsweise ein bisschen übernommen. Ed neigte seine Kamera nicht absichtlich, sondern versuchte nur, das gesamte Bild in seinen Rahmen zu bekommen. "Wenn es nicht passt, mach es passend und geh nicht rückwärts", sagte er. Das habe ich auch versucht. In den Niederlanden sagt man schnell: „Oh, das ist doch nur ein Foto.“ Das ist in Amerika und England überhaupt nicht der Fall. Ich mag es, dass einige meiner Bilder im Laufe der Zeit plötzlich zur Kunst erhoben werden. Was einst gewöhnliche Zeitungsfotos waren, erzielte bei einer Sotheby's-Auktion plötzlich 4000 Euro. Mein Kopf ist noch voller Pläne. Das Ärgerliche ist, dass man nicht immer dazu kommt, weil die Familie und die Zeitung einen jeden Tag beschäftigen. Aber einer meiner Wünsche ist es, ein schönes, großes Fotoalbum zu machen. Im schlimmsten Fall müssen sie das nach meinem Tod tun.

Keine Linie, aber nett

In den fünfziger und sechziger Jahren hatten meine Eltern keinen Cent zu verdienen, aber sie kauften hin und wieder ein Kunstwerk über eine Art Abonnement. Es hieß Print 190 und es waren Kunstwerke, die in einer Auflage von 190 hergestellt wurden. Es waren Werke von Appel, Corneille und Lucebert, die damals noch junge, unbekannte Künstler waren. Später bekamen diese Werke einen Wert, aber damals war es nur eine schöne Sache; Moderne Kunst für die Wand inmitten der Pastoe-Möbel in einem eleganten Haus, in dem alle alten Möbel weggeworfen wurden. Was ich selbst an die Wand gehängt habe, ist schön, weil es überhaupt keine Linie gibt. Ich kaufe einfach etwas, wenn es mir gefällt, und tausche es mit befreundeten Künstlern. Der Kunstsammler Piet Sanders, der Vater von Martijn, dem Direktor des Concertgebouw, sagte einmal zu mir: „Wenn du etwas siehst, das dir gefällt, und es in deinem Kopf klingelt, dann solltest du es kaufen.“ Und so ist es. Die einzige Linie in meiner Sammlung sind Gemälde oder Zeichnungen mit Akten. Jedes Mal, wenn ich im Ausland bin, kaufe ich irgendwo auf einem Markt oder in einer Galerie einen Akt. Ich habe zum Beispiel Bilder aus Vietnam, Rumänien, Suriname, Groningen, Amerika und eine Matisse mit „Ceci n'est pas un Matisse“ signiert. Das ist eine zufällig entstandene Sammlung geworden.

 

Foto: Yvette Zellerer

für das Buch Passion for Art

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Vincent Mentzel wurde am 28. September 1945 in Hoogkarspel geboren. Er besuchte die Kunstakademie in Rotterdam und war zwischen 1967 und 1969 Assistent der Theaterfotografin Maria Austria in Amsterdam. Seit 1973 ist er bei NRC Handelsblad als angestellter Fotograf tätig. Er veröffentlicht in (Schul-)Büchern, ausländischen Zeitungen und Zeitschriften wie Newsweek, Time Life, New York Times, Haagse Post und Holland Herald. Mentzel hat zu Fernsehprogrammen und Jahresberichten (ua ABN, Content, Robeco, De Goudse Verzekeringen, Wolters Kluwer, KLM), Kalendern, Reiseführern, Broschüren, Postern und Postkarten beigetragen. Mentzel ist seit 1980 (tägliches) Vorstandsmitglied der World Press Photo Foundation und war zwischen 1980 und 1985 Vorstandsmitglied der Rotterdam Art Foundation. Er ist außerdem Mitglied des „Advisory Board Eugene Smith Foundation“ (New York), ist seit 1996 Vorstandsmitglied der Anna Cornelis Foundation und seit 2000 Vorstandsmitglied des Fotomuseum Amsterdam. Für seine Arbeit und bei World Press Photo wurde er mehrfach mit der Silbernen Kamera ausgezeichnet. Mentzel hat eine Reihe von Fotobüchern und Ausstellungen zu seinem Namen.

Passie voor kunst

Buch darüber, was Menschen mit Kunst haben

Für das Buch „Passion voor kunst“ und die AVRO-Fernsehsendung „Liefliefdes“ interviewte Koos de Wilt prominente Niederländer aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zum Thema Kunst.

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